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Gestern habe ich ein wenig bei Youtube gestöbert. Dabei bin ich auf einen Film gestossen, welcher 1965 für das Schweizer Fernsehen gedreht wurde. Armut in der Stadt Zürich. Dabei kamen mir einige Erinnerungen an den Ort, an welchem ich aufgewachsen bin.

Zwischen Limmat und Autobahn

Bei meiner Geburt wohnte meine Familie in der Grünau, einem Teil von Altstetten. Die Grünau ist das Gebiet zwischen Limmat, Autobahn, Hardturm und Stadtgrenze. Die Europabrücke überquert das gesamte Gebiet. Es gab damals nur wenige Mehrfamillienhäuser. Ein Gebiet, im Hardhof auf der anderen Seite der Europabrücke haben wir despektierlich „Negerdörfli“ genannt. Heute wäre das absolut gegen jede politische Korrektheit und absolut undenkbar! Man möge uns verzeihen, aber damals war man sich dieser Problematik noch nicht bewusst.

Ich hab gehört, dass dieser Ausdruck davon kam, dass diese Häuser das Gaswerk der Stadt Zürich (Artikel im Baublatt) erstellt hat. Das Gaswerk produzierte das Gas aus Kohle. Wenn die Arbeiter abends nach Hause kamen, waren sie schwarz von Kohle. Deshalb soll diese Bezeichnung entstanden sein. Heute sind diese Häuser übrigens sehr begehrt und nicht mehr allzu günstig zu kaufen.

Zwischen Autobahn und Eisenbahn

Das Gebiet zwischen der damaligen N1 (welche 1971 fertiggestellt wurde) und der Eisenbahnlinie, war Industrieland, auch wenig Ödland. Es gab 1924 sogar noch die Automobil- und Motorbootfabrik Vulcan-Werke. Diese standen in etwa da, wo heute diese 3 Hoteltürme des Hotels Vulcano stehen. Leider fand ich keine weiteren Details zu dieser Fabrik. Die einzigen Vulcan-Autos die man im Netz findet, sind britischen Ursprungs.

Da wo sich heute namhafte Firmen wie IBM, UBS etc. ihre schicken Bürohäuser hingestellt haben, waren früher Baracken und ältere Gebäude. Ich mag mich auch gut an die Baracken erinnern, da wohnten die Saisonniers. Italienische Gastarbeiter, die jeweils für die Bau-Saison in die Schweiz kamen um mit ihrer Arbeit die Familien in Italien zu unterstützen. Viele Männer waren aus Süditalien, welches damals sehr arm war.

Überall in dieser Zone waren kleine Gebäude und Hütten. Da arbeiteten die verschiedensten Berufsgattungen. Vor allem mit Eisen und Stahl. Auch Künstler fanden ihren Platz in dieser teilweise unwirtlichen Gegend.

Bahnhof Altstetten

Der Bahnhof Altstetten lag an der historischen Linie, der Spanisch-Brötli-Bahn (Zürich-Baden) und auch der Linie ins Knonaueramt (Zürich – Zug via Affoltern am Albis). Eine kleine Verbindung, welche selten benutzt wird, ist diejenige zum Bahnhof Wiedikon (Anschluss an die Gotthardlinie). Aber dieser Bahnhof machte dann auch das Gebiet entlang der Geleise sehr interessant für alle möglichen Nutzungen. Übrigens wurde das 1966 erstellte Bahnhofsgebäude aus Beton im 2005 mit dem Wakkerpreis ausgezeichnet, als Bau mit hochstehender Baukultur. Zur Bauzeit war es eines der wenigen Hochhäuser in der Stadt Zürich.

Die Armut in Zürich

Der Film, der mich zu diesen Zeilen gebracht hat, ist genau neben dem Bahnhof gedreht worden. Man sieht die Europabrücke. Das Elend war gleich unter dieser Brücke. Menschen, die kein fliessendes Wasser erhalten haben, Toiletten wurden ihnen weggenommen. Menschen ohne Geld und Perspektive. Ich empfehle Euch, diesen Film anzuschauen. Nicht, weil es in Altstetten war, sondern weil es Armut war. Armut in der Schweiz, einem der reichsten Länder der Welt.

Da wo heute die SBB ihre Wohnsilos gebaut hat, die Migros Klubschule ihre Kunden unterrichtet – da wurde dieser Film gedreht. Heute findet man da keine Armut mehr. Nicht, dass diese nicht existiert, aber sie ist nicht mehr offen sichtbar. Wie die Drogenszene. Wir geben uns alle Mühe, über diese unrühmlichen Sachen ein Mäntelchen zu legen.

Dieser Film hat mich sehr berührt! Er ist 1 Jahr älter als ich selber. Es ist ein Zeitzeugnis, welches beschämt. Geben wir uns Mühe, dass wir dies nicht erneut anderen Menschen zumuten, so leben zu müssen!